Diese Seite unterstützt weder den Internet Explorer 7, noch den Kompatibilitätsmodus in höheren Versionen des Internet Explorers (IE8, IE9, IE10). Um den Kompatibilitätsmodus abzustellen informieren Sie sich bitte hier oder laden Sie am Besten einen neuen Browser.
  • Home
  •  >  Mitsprache
  •  >  Die Stimmen der Jugend
  •  → Die Stimmen der Jugend

Die Stimmen der Jugend

Die Jugendcharta sagt, was Jugendliche brauchen. Jugendforscher Manfred Zentner begleitete die Entwicklung und erlebte einige Überraschungen.

Die Entwicklung der Jugendcharta begann auf der Jugendtagung des ÖJRK am 1. und 2. April 2012 in Litzlberg. Jugendforscher Manfred Zentner und sein Team erarbeiteten mit Tagungsteilnehmern die Themen und Forderungen dazu.

 

Herr Zentner, Sie haben die Treffen begleitet, aus denen die Jugendcharta entstanden ist. Wie ist dieser Prozess abgelaufen?

Manfred Zentner: Ein Mitbestimmungsprojekt zu begleiten ist immer eine spannende Sache, denn es zeigt die großen Unterschiede zwischen den Jugendlichen. Begonnen hat es mit einem wissenschaftlichen Input aus der Sozialforschung ...

... also mit der Sicht der Erwachsenen?

Ja, ich habe den Jugendlichen diese Erkenntnisse präsentiert, um ihnen einen Ansatzpunkt zu geben, von dem sie ausgehen können.

Wie war die Reaktion darauf?

Es waren Teilnehmer der Jugendtagung, also sehr engagierte Jugendliche, die das Jugendrotkreuz kannten und ihre Ideen einbringen wollten und sollten. Es hat sich gezeigt, dass sie mit vielem des Gesagten nicht einverstanden waren, dass sie darunter etwas anderes verstanden als meine Mitarbeiter und ich.

Was war das genau?

Uns ist aufgefallen, dass sie kaum nachfühlen können, wie andere Jugendliche ticken könnten, wenn diese nicht direkt aus ihrem Freundeskreis sind und nicht ihren Erlebnishorizont haben. Sie unterstellen dem Großteil der Jugendlichen die gleichen Bedürfnisse wie die eigenen, ohne andere Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, selbst wenn sie diese kennen. Man muss allerdings sagen, dass sie auch sehr jung waren, alle jünger als 19 Jahre.

Kann man daraus eine Jugendcharta ableiten, wie es dann passiert ist?

Ja, natürlich, wenn man sie nicht als endgültig betrachtet und weitere Jugendliche einbezieht. Und das haben wir gemacht. Anders als bei der Kindercharta, wo eher Erwachsene für Kinder sprechen, wollten wir die Jugend als Sprecher haben. Wir mussten allerdings erst die Schwierigkeit überwinden, dass sie mich als Autoritätsperson betrachteten und anfangs alles hinnahmen, was ich sagte.

Ist das Bild von der revolutionären Jugend nicht auch Projektion der Erwachsenen? Verlangen wir da nicht eine Haltung, die wir selbst nicht einnehmen können?

Das denke ich auch. Wir haben es mit einer sehr pragmatischen Jugend zu tun, die es sich in vieler Hinsicht nicht leisten kann, unangepasst zu sein. Wir haben es mit jungen Menschen zu tun, die funktionieren müssen ...

... aber das Spannende ist, dass sie es nicht wollen.

Sie wollen keinen Leistungsdruck, sie wollen ihre Meinung sagen, aber sie akzeptieren die Institution. Sie wollen weder die Institution Jugendrotkreuz ändern noch über sie die Welt verändern. Sie wollen helfen. Genau das! Am zweiten Tag gab es sehr freie Diskussionen, und wir haben uns bemüht, im Ergebnis das zu belassen, was die Jugendlichen wirklich gesagt haben.

Was war das zum Beispiel?

Beim Thema Gleichberechtigung ging es kaum um die Rollen von Frauen und Männern. Die Jugendlichen verstanden darunter zum Beispiel Migrationshintergrund, Behinderungen, regionale oder körperliche Benachteiligungen.

Die Mädchen fühlten sich nicht benachteiligt?

Das Geschlechterthema kam eher unter der Überschrift Familie zur Sprache, und es wurden von den Mädchen vor allem die Umgangsformen der Burschen kritisiert. Natürlich wollen sie nicht wie der letzte Dreck behandelt werden, aber es war für sie ein Benimmthema, kein Fairnessthema.

Müssen Jugendliche erst lernen, ihre Wünsche zu formulieren, sich an der gesellschaftlichen Diskussion zu beteiligen? Warum eigentlich?

Wir verlangen, dass Jugendliche sich beteiligen, dass sie mitmachen und mitbestimmen. Bei den Erwachsenen genügt es uns, wenn sie alle fünf Jahre zur Wahl gehen und in der Zeit dazwischen einfach nur schimpfen. In der Jugendcharta kommt ja das Mitspracherecht vor.

Wie viel Mitbestimmung brauchen Jugendliche, wie viel Mitbestimmung brauchen wir von ihnen?

Von den Jugendlichen wurde die Forderung nach Offenheit genannt. Zuhören und darüber nachdenken.

Wo wird denn den Jugendlichen zugehört?

Im Roten Kreuz und im Jugendrotkreuz versucht man, die Stimmen der Jugendlichen in vielen Gremien abzubilden.

Ein richtiger Weg?

Ich glaube, dass in allen Gremien, die jugendrelevante Entscheidungen treffen, die Stimme der Jugendlichen vertreten sein sollte.

Nur ihre Stimme?

Unter Umständen müssen sie nicht persönlich in einem Gremium vertreten sein. Sonst entsteht eine Kaste von Berufsjugendlichen, die in vielen Gremien sitzen, so wie eine gewisse Zahl von Personen sämtliche Aufsichtsräte Österreichs besetzt hält. Es sollten also nicht immer dieselben Jugendlichen sein, schon deshalb, weil sich Jugendliche oft nur für gewisse Themenausschnitte interessieren.

Wer könnte die Interessen der Jugendlichen denn gut vertreten, wenn nicht sie selbst?

Es ist auch denkbar, dass ein Experte oder ein Meinungsforscher die Stimmung der betroffenen Jugendlichen erhebt und mit dem Ergebnis ins Gremium geht. Das muss nicht unbedingt eine Umfrage sein, das kann auch ein Workshop sein. Wichtig dabei ist, dass die Meinung der Jugendlichen wirklich berücksichtigt wird.

Es geht also weniger um die physische Präsenz als um die Wahrnehmung der Interessen?

Ja. Es sollte für jedes Vorhaben eine Kinder- und Jugendverträglichkeitsprüfung geben. Das wäre nicht nur wünschenswert, das sollte selbstverständlich sein, weil unsere Gesellschaft immer die Interessen all ihrer Mitglieder berücksichtigen sollte.

Haben Jugendliche überhaupt genug Informationen, um mitentscheiden zu können?

Es ist für mich eines der großen Mankos unserer Zeit, das wir Jugendlichen nicht sagen können, wo sie gute Informationen bekommen. Die Kluft zwischen Wissenden und Nichtwissenden ist größer als je zuvor. Auch bei den Jugendlichen.

Fehlt die Chancengleichheit?

Alle haben Zugang zum Internet. Die Chancengleichheit ist da, aber sie wird nicht genützt. Man wird auch nicht genug darin trainiert, Informationen zu finden.

Sie haben die Entstehung der Jugendcharta begleitet, kennen Sie auch das Ergebnis?

Ja. Es ist ein Wunschkatalog mit nachvollziehbaren Forderungen.

Sehen Sie auch abgebildet, was Sie mit den Jugendlichen erarbeitet haben?

Durchaus. Es ist, wie gesagt, nicht das herausgekommen, was ich mir erwartet habe, aber das Ergebnis des Prozesses ist abgebildet, und das sehe ich als Kompliment für den ganzen Prozess.

Zur Person

icon

MMag. Manfred Zentner arbeitet seit 1997 in der Jugendforschung. Seit 2001 ist er am Institut für Jugendkulturforschung in den Bereichen Forschung und Fortbildung tätig. Seit 2004 ist er offizieller Korrespondent Österreichs beim „European Knowledge Center for Youth Policy“ sowie Mitglied beim „Pool of European Youth Researchers“.

Manfred Zentner ist Lehrbeauftragter an pädagogischen Hochschulen sowie im Rahmen des Eventmanagement-Lehrgangs.

Weiterlesen

Dein Projekt wird gesucht! Bei Call 4 Action kannst Du deine innovative Idee für eine soziale Aktion finanzieren lassen. Mehr dazu ...


Politik, wozu? Was die neue Regierung eigentlich den Jugendlichen bringt, erfährst du hier.

DIE JUGENDCHARTA

Zehn Aussagen zu Themen wie Familie und Freunde, Identität, Beziehungen, Ausbildung, Arbeit, Freizeit, Gesundheit, Mitsprache, Migration und Zusammenleben spiegeln die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen und ihre Forderungen – damit sie eine lebenswerte Zukunft haben.

Die ÖJRK-Jugendcharta