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Adonis, Spargeltarzan, Fettsack oder "Schwuchtel"?

Dandy spricht über Bodyshaming bei Männern

Wer sind die Betroffenen von Bodyshaming? Ganz klar Frauen, die online oder im "real life" gemobbt werden. Ganz sicher?! Vor allem Frauen werden durch Film & Fernsehen, Social Media und Werbung unter Druck gesetzt. Ihre Körper müssen so perfekt sein wie die von Kylie Jenner und Mila Kunis.

 

Was dabei vergessen wird, ist, dass Bodyshaming auch viele Männer betrifft. Von einem Mann wird erwartet, durchtrainiert und muskulös zu sein. Doch was ist, wenn man diesem Idealbild nicht entspricht?

 

#getsocial hat mit Dandy über seine Erfahrungen gesprochen.

 

 

Gleich vorneweg: Welche "Problemzonen" siehst du selbst an dir?

 

Die Problemzonen, die mir immer schon zu schaffen machten, waren beispielsweise die etwas abweichenden Proportionen meines Körpers. Es handelt sich hierbei nicht etwa um eine Deformation oder Ähnliches, sondern einfach um die Tatsache, dass ich an meinem Körper verschiedene Merkmale aufweise, die oft geschlechtlich kategorisiert sind. Ich habe sehr sanfte Schultern und ein für einen Mann ein relativ breites Becken, doch gleichzeitig verfüge ich auch über starke Körperbehaarung und einen leicht massigen Bauch, relativ rustikale Schulterblätter. Auch wenn ich persönlich ungern nach Begriffen suche, um meine Umstände zu kategorisieren, würden viele Leute meine Gesamterscheinung eventuell als "androgyn" bezeichnen.

 

Wie hoch ist der Konkurrenzdruck unter Männern?

 

Er ist höher als man denken mag. Man ist als Mann (meiner Meinung nach) viel anfälliger dafür, körperlich und erscheinungsmäßig aus der Reihe zu tanzen. Entweder sieht man aus wie ein Adonis, oder man ist ein "Spargeltarzan", ein "Fettsack" oder eine "Schwuchtel". Bei einem gutaussehenden Mann denkt man in der Regel an einen Mann, der groß ist, der einen Sixpack und breite Schultern hat. Wenn einem so ein Bild die ganze Zeit vorgehalten wird und man deshalb Abweisung erhält, nicht ernst genommen wird, entwickelt man dementsprechend eine gewisse Frustration.

 

Wann hast du zum ersten Mal Erfahrungen mit Bodyshaming gemacht?

 

Im Volksschulalter, glaube ich. Sagen wir mal so: Ich wurde nie wirklich heftig gemobbt oder gehänselt deshalb, aber es fielen schon hin- und wieder Kommentare, die einen innerlich kränkten. Als Kinder anfingen anzumerken, dass ich pummelig war, dicke Backen hatte oder ein "Winzling" war, stellte ich mich selbst immer mehr infrage.

 

Hast du durch diese Erfahrungen Probleme mit deinem Essverhalten entwickelt? Wie äußert sich das?

 

Jeder heranwachsende Teenager hat ja Idole und Leute, die er besonders bewundert. Was haben also meine Idole - nämlich David Bowie, Benedict Cumberbatch und Michael Jackson - gemeinsam? Sie sind/waren allesamt verdammt dünn und ihre Gesichter zeichnen sich durch eingefallene Wangen und scharfe Wangenknochen aus. Als kleiner Junge, der zwar nie wirklich aufs Ärgste gemobbt wurde, aber dem wohl vermittelt wurde, dass sein Aussehen nicht als normal oder attraktiv gewertet werden konnte, fing ich an, meinen Idolen nachzueifern. Ich aß teilweise tagelang sehr wenig bis nichts, trank mehr Wasser und aß weniger Salz, weil ich gehört hatte, der Fettgehalt im Gesicht würde auf diese Weise abnehmen.

 

Ich entwickelte mein eigenes Konzept von "schön", von dem Sixpacks und Körpergröße nicht primär ein Teil waren - ich strebte nun nach voluminösem gepflegtem Haar und einem sehr ungesunden Aussehen. Ich dachte mir teilweise sogar, "Hey, super, wenn ich weniger esse und meinen Körper bis zum Einfall der Wangen vernachlässige, werde ich als Bonus dazu noch blass! Sowie David Bowie, als er der Thin White Duke war!" Es gab eine lange Zeit, in der ich hohe Selbstverachtung verspürte, wenn ich mal nicht darauf achtete, was ich aß (oder dass ich überhaupt nichts aß). Heute weiß ich aber mein Aussehen, wie es mir angeboren wurde, besser zu schätzen. Manchmal sogar mehr, als mir lieb ist.

 

Wurdest du im "real life" gemobbt oder verstärkt in den sozialen Netzwerken?

 

Nein, diese Erfahrung habe ich nie machen müssen, glücklicherweise. Ich wurde zu Schulzeiten eigentlich nie wirklich beachtet und hatte ungefähr eine Handvoll Leute, denen ich meine Aufmerksamkeit schenkte und denen ich mich widmete. Nicht, dass ich unbeliebt war - mir reichten einfach nur die Klassenkollegen und Freunde aus der Nachbarschaft. Körpermäßig gab es natürlich auch hin und wieder Kommentare. "Pummel", "Zwerg", et cetera. Aber zu einem wirklich brutalen Mobbing ist es nie gekommen.

 

Hat deine Schule Aufklärung in Bezug auf Körperbilder betrieben oder wurde das Thema eher ignoriert?

 

Das Thema wurde eher ignoriert und nahm keinen Stellenwert in Gesprächen ein. Es gab hin und wieder Klassengespräche darüber, dass man gefälligst mit Nacktbildern, Sexting und Fast-Food aufpassen sollte, aber es gab niemals Aufklärungen über Körperbilder.

 

Konntest du mit Freunden über deine Probleme sprechen oder warst du damit allein?

 

Es gab Freunde, mit denen ich darüber reden konnte, doch das bedeutete auch, dass sie mich verstanden - und eventuell dieselben Probleme hatten. Wir tauschten uns darüber aus und entweder gaben wir uns gegenseitig Kraft und Komplimente, oder wälzten uns gemeinsam in Melancholie und Selbsthass. Sowas ist sehr gefährlich: es war wie ein Ping-Pong von Deprimierung. Eine/r merkte an, wie sehr er sein Aussehen verachtete, der/die andere versuchte, das zu toppen. Meist suchte ich Zuflucht im Verfassen von Gedichten.


Gibt es Leute in deinem Umfeld, die dich verstärkt unter Druck setzen, mehr zu leisten und noch besser zu werden?

 

Sachen, die man ohne Zweifel mit diesem Thema assoziiert, und das in beinahe jedem Fall, sind Sexualität, Liebe und Erotik. Man wird Menschen kennenlernen, die einem gefallen (auf welcher Ebene auch immer) und man möchte dann auch meistens ihnen genauso gefallen. Man findet sie gutaussehend oder attraktiv, und würde sich sehr über ein "Du auch" freuen. Wenn man öfters sieht und mitbekommt, dass sich diese Leute doch für wen anders entscheiden, meistens jemand Durchtrainierten oder Größeren oder was auch immer, dann fängt man an sich zu fragen, was mit einem nicht stimmt. Dies soll nicht als Angriff verstanden werden - jeder hat das Recht, das attraktiv zu finden, was man ehrlich attraktiv befindet.

 

Es ist aber leider nun mal so, dass Leute, die nicht in die sehr akzeptierte und willkommen geheißene Norm des Sixpacks oder der übertroffenen 1,80-Marke fallen, wahrscheinlich eher nicht die erste Wahl eines sexuell/romantisch bewunderten Menschen ausmachen (was aber auch sehr auf diesen besagten Menschen ankommt, aber nochmal - wir gehen hier von der Norm aus). Daraus folgen noch mehr Unsicherheiten : "Bin ich denn so hässlich? Warum bekomme ich nie ein Date?"

 

Belasten dich männliche Schönheitsideale und Stars, die als besonders attraktiv und durchtrainiert gelten?

 

Der Großteil meiner Antwort zu dieser Frage ist weiter oben eigentlich gut nachzulesen. Doch möchte ich betonen, dass man sich die Schönheitsideale und Vorbilder meistens selbst aussucht. Ich kritisierte zum Beispiel aufgrund der Kommentare, die ich als Kind oft bekommen habe, meine Wangen und leichte Pummeligkeit und nicht etwa Unsportlichkeit. Deshalb leide ich eher unter dem Schönheitsbild eines Benedict Cumberbatch als unter dem eines Cristiano Ronaldo.

 

Mein Fall ist sicher nicht der definitive Fall für jeden anderen Jungen/Mann, aber ein sehr Vertretener - es gibt Merkmale, deren Mangel mir damals nachgesagt wurden, also entwickle ich eine Obsession für berühmte Menschen, die diese auf eine extreme Weise aufweisen. Ich rekompensiere das vermeintliche Fehlen meiner ausgeprägten Wangenknochen, bzw. die mir sehr unangenehme Fülle meiner Wangen, mit dem Nacheifern von Bowies und Cumberbatches skelettartigen und hauchigen Gesichtern.

 

Du hast mir vorab erzählt, dass du an Gynäkomastie - also einer Vergrößerung der Brustdrüse beim Mann - leidest. Wie lange weißt du schon, dass du betroffen bist?

 

Ich habe circa mit 12 Jahren gemerkt, dass meine Brustwarzen etwas überdurchschnittlich groß sind. Als ich bei meiner Hausärztin war, meinte sie, dies würde später vergehen. Nun bin ich 19 und es ist noch immer da.

 

Ich kann mir vorstellen, dass viele zuerst denken: Woher kommt das? Bin ich zu dick? Was war deine erste Reaktion?

 

Ich dachte erst, es sei ein Tumor. Krebs, eine Krankheit. Google gibt einem ja lauter morbide Ergebnisse, wenn man nach sowas sucht. Meine Hausärztin und Schulärztin konnten mir aber bestätigen, dass es sich um Gynäkomastie handle. Dies finde ich schon beinahe relativ witzig: mein Körper produziert exzessiv viel Testosteron, und der Überschuss davon wird in Östrogene umgewandelt. Ich habe einerseits viel Haar am Körper und mein Bart wächst ziemlich schnell, andererseits habe ich aber auch (technisch gesehen) sowas wie Brüste und ein breites Becken.

 

In unserer Gesellschaft und in unserem Reisepass gibt es nur 2 Geschlechter und die sind genau definiert. Welche Probleme hattest du durch die Gynäkomastie mit deiner Geschlechterrolle?

 

Ich glaube, das ist relativ selbsterklärend. Frauen haben Brüste, und Männer nicht. Wenn nun aber bei einem Jungen/Mann etwas vergrößerte Brustwarzen vorkommen, dann bekommt man schnell an den Kopf geworfen, dass man Titten hat oder was weiß ich. Es wird trotz eines hohen Prozentsatzes an Betroffenen (50% aller pubertierenden Jungen, kann aber muss sich nicht zurückbilden) als abnormal angesehen.

 

Welchen Rat würdest du Jungs geben, die auch von Bodyshaming betroffen sind?

 

Der Schlüssel hierzu klingt zwar sehr klischeehaft und das haben euch bestimmt viele Leute zig Mal gesagt, aber ich kann es nur wiederholen: Widmet dem nicht eure Energie. Ergo, scheiß drauf. Konzentriert euch wenn dann auf die Leute, die an so etwas oberflächlichem wie euren Körper vorbeischauen können und einen Kameraden brauchen, einen Freund und einen Partner. Jemanden, der sie zum lachen bringt, der eine Runde FIFA mit ihnen spielt oder mit ihnen ins Kino geht.

 

Im Grunde genommen ist ein Großteil der Attraktivität sowieso auf Ausstrahlung aufgebaut, und Ausstrahlung kriegt man nicht aus Sixpacks, breiten Schultern oder 1,90m an Körpergröße. Ist zwar schön und gut wenn man das auch hat, aber ich kann euch versprechen, dass nichts so vielsagend ist wie ein Auftreten, Humor, Teilnahme, eine Rock n´ Roll-Attitüde. Gebt solchen Spinnern, die sich daran aufgeilen müssen, dass sie euch "fett" oder "dünn" oder et cetera nennen, keine Angriffsfläche. Wenn ihr denen diese Angriffsfläche nicht gebt, dann haben sie alles verloren, was sie gegen euch in der Hand haben. Sie müssen sich dann einen anderen Weg suchen, ihre Unsicherheit zu rekompensieren. Ich war auch immer "der Pummelige". Ich sagte dann darauf immer, dass es halt ungünstig ist, wenn der Dönerladen gleich um die Ecke bei der Schule war.

 

Im Bezug auf meine Gynäkomastie sagten Leute oft, "Haha, du hast Titten". Ich fragte sie dann, ob sie nicht mal anfassen wollen - schienen ja Bock drauf zu haben, wenn sie es so offen anmerkten. Ganz egal, wie ihr das macht - was ich hiermit sagen möchte ist, dass es immer Arschlöcher geben wird, die aus sowas wie Körpern eine große Sache machen. Es gibt aber nix Geileres und Cooleres als einen Menschen, den sowas nicht trifft und der sich in dieser vermeintlichen Angriffsfläche ein Wohnzimmer zurechtmacht. Sie eröffnen Feuer auf euch, weil sie Unsicherheit verspüren. Ihr seid aber mit der richtigen Einstellung und einem metaphorischen Mittelfinger, der groß genug ist, mehr als nur in Sicherheit. Ihr gewinnt.

 

Vielen Dank für das Interview!

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Foto: Dandy